Tumaco und seine Menschen

Die 120.000-Einwohner-Stadt Tumaco liegt im äußersten Südwesten Kolumbiens, direkt an der Pazifikküste und nur wenige Kilometer von der Grenze zu Ecuador entfernt. Lange war Tumaco nicht nur wegen seiner mangelnden Infrastruktur, sondern auch aufgrund des politischen Unwillens der Regierung vom Rest des Landes quasi abgeschnitten. Bis heute ist die Stadt in etlichen Sozialentwicklungen weit abgeschlagen, führt jedoch die Gewaltstatistik an.

Die Bevölkerung Tumacos besteht zu 95% aus afrokolumbianischen Großfamilien. Etliche von ihnen sind in den letzten 20 Jahren als Vertriebene des bewaffneten Konflikts aus dem Hinterland hier hergekommen auf der Suche nach einem neuen Lebensmittelpunkt und der Chance auf Bildung für ihre Kinder. Viele wurden von der Realität enttäuscht: Die Arbeitslosigkeit in Tumaco liegt bei über 70%. Nur 5% der Bevölkerung haben jemals eine Universität besucht. Und die Mordrate ist deutlich höher als der landesweite Durchschnitt. Daran hat auch die Unterzeichnung der Friedensverträge mit der FARC Ende 2016 nichts geändert. Im Gegenteil, neue bewaffnete Gruppen haben sich rund um den Drogenhandel formiert und stehen in permanenter Auseinandersetzung untereinander und mit der Armee bzw. Polizei.

Innerhalb Tumacos ist das Nuevo Milenio (dt. Neues Jahrtausend) eines der Stadtviertel, die am meisten unter der fehlenden Infrastruktur, hoher Armut und Gewalt leiden. Hier leben etwa 1.500 Großfamilien in dicht gedrängten Stelzenhäusern aus Holz direkt über dem Meer. Ihr Alltag ist von Ebbe und Flut, von Müll und Krankheiten, von fehlendem Süßwasser und der ständigen Präsenz bewaffneter Akteure geprägt. Viele Kinder und Jugendliche gehen nicht zur Schule, sehen ja ohnehin keine Zukunft, sondern schließen sich den bewaffneten Gruppen und dem Drogenhandel an.

Jugendzentrum Centro Afro

Hier haben die Comboni-Missionare im Jahr 2011 das Centro Afro gegründet, wo die Kinder und Jugendlichen die Protagonisten sind, ihre Freizeit verbringen und miteinander Träume und Strategien für eine bessere Zukunft für sich selbst und ihre Region entwickeln.

Sie nutzen die kleine Bibliothek mit Computern und Internet für ihre Hausaufgaben oder einfach zum Ausruhen, Spielen und Erzählen.

Dreimal in der Woche trainieren mehr als 40 Kinder in der Tanzgruppe. Das Tanzen gehört ganz existenziell zur afrokolumbianischen Kultur und bedeutet viel mehr als nur Freude und Bewegung. In der Zeit der Sklaverei waren die Momente des Tanzens auch Zeiten der Freiheit und des Widerstands, der Würde und eigenen Identität. Das ist bis heute so. Deshalb lernen die Kinder im Centro Afro mit viel Begeisterung die traditionellen Tänze, doch in den letzten Jahren sind auch zeitgenössische Rhythmen und Schrittfolgen dazugekommen und ergeben wunderbare neue Formen des Tanzes. Aufgrund ihrer künstlerischen Qualität hat die Gruppe inzwischen einen festen Platz in der Kulturszene der Stadt.

Ähnlich gestaltet sich die Arbeit der Zirkusgruppe, die mehrheitlich aus sehr lebendigen Jungs besteht. Die Kunst des Stelzenlaufens und Jonglierens, der Akrobatik und Feuerspuckens fordert sie heraus und macht sie zu einem Hingucker bei Friedensmärschen und kulturellen Veranstaltungen. Da erhalten sie Applaus und Anerkennung für ihre gute Koordination und mutigen Auftritte statt für freche Sprüche oder eine Waffe im Hosenbund.

Abends treffen sich verschiedene Jugendgruppen, die sich mit Themen aus dem Menschenrechts- und Umweltbereich auseinandersetzen und so einen kritischen Blick auf die lokale wie weltweite Gesellschaft entwickeln. Natürlich spielen dabei auch Dialogfähigkeit, Gewaltfreiheit und konkrete Formen des Widerstands für die Friedenskonstruktion eine wichtige Rolle.

Eine weitere kreative Gruppe sind die Hip-Hopper, die sich 2x pro Woche in ihrem eigenen kleinen Tonstudio im Centro Afro zur Probe treffen, aber auch eigene Lieder schreiben und mit ihren Texten gegen Gewalt, Korruption und Umweltverschmutzung ansingen.

Ort des Glaubens

Das Centro Afro war den Menschen im Nuevo Milenio in den letzten Jahren immer wieder wichtiger Schutz in Auseinandersetzung mit Guerilla, Paramilitärs und staatlichen Akteuren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es eine katholische Organisation ist, die Neutralität im bewaffneten Konflikt und Autonomie in der strategischen Ausrichtung garantiert. Da es im Viertel Nuevo Milenio kein Kirchengebäude gibt, finden die Katechese, Gemeindeversammlungen und Sonntagsgottesdienste im Jugendzentrum statt und verbinden Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf ganz wunderbare Weise. So ist das Jugendzentrum nicht nur ein Ort des friedlichen Miteinanders, sondern auch des Glaubens und friedlichen Widerstandes, der die sog. unsichtbaren Grenzen und abendlichen Ausgangssperren durch die alltägliche Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, aber auch durch Kreuzwege, Patronatsfeste und die kirchlich initiierte Friedenswoche gerade an den vermeintlich unzugänglichen Ecken und Themen der Stadt überwindet. Das Centro Afro speist sich aus der Kraft des Glaubens.

Organisation und Finanzierung

Das Jugendzentrum ist eine Initiative der Comboni-Missionare, die seit vielen Jahren soziale und pastorale Arbeit in Tumaco leisten. Die Leitung des Centro Afro haben sie einem vierköpfigen lokalen Team übertragen, das ganz systematisch das ehrenamtliche Engagement der Jugendlichen fördert und ihnen viele Aufgaben anvertraut. Zudem entsendet jede Gruppe zwei SprecherInnen in den Jugendvorstand, der die Planung und alltägliche Organisation des Jugendzentrums übernimmt. Dabei geht es in erster Linie um Kreativität, gewaltfreie Konfliktlösungen und das gemeinsame Entdecken und Verwalten eigener Ressourcen statt um paternalistische Lösungen oder individuelle Wohltätigkeiten.

Dennoch trägt sich kein Jugendzentrum der Welt selbst, auch wenn es wie das Centro Afro gelernt hat, mit ganz bescheidenen Mitteln auszukommen und mit einem selbstgeführten Kiosk sogar kleine Einnahmen für die Grundausgaben erwirtschaftet. Es braucht Geld für drei Mindestlöhne, für die Instandhaltung des Zentrums, Kostüme für die Tanz- und die Zirkusgruppe sowie die nötige Finanzierung von Fortbildungsmaßnahmen aller Art.

Einen entscheidenen Beitrag zur finanziellen Sicherheit leistet action pro colombia e.V. mit langjährigen Übernahme des Gehaltes einer Mitarbeiterin sowie zusätzlicher punktueller Ausgaben für die Ausstattung des Zentrums, des Tonstudios, Kostümen u.a. zugunsten der Kinder- und Jugendarbeit in Tumaco.

Centro Afro

Centro Afro

Jugendgruppe in Tumaco

Jugendgruppe in Tumaco

action pro colombia e.V.
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Tel: +49 216144224
E-Mail: action-pro-colombia@ewf-mg.de
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